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ZWEI STUFEN HINAUF ZU EINER ANDEREN WELT

Wir leben in dem Spannungsfeld zwischen einem “Entweder” und einem “Oder”. Von Monat zu Monat schleudern wir dem “Entweder” mehr entgegen. Wir wissen, daß global die Kluft zwischen den immer irrsinniger Reichen und der Unzahl derer, die in immer tieferer Armut versinken, noch fürchterlicher werden wird, wenn es uns nicht gelingt, das Steuer unserer Kultur richtungsändernd zu wenden. Wenn wir uns weiter in der bisherigen Richtung treiben lassen, dann wird der Terrorismus auch in den bisher behüteten Oasen, wie München oder Wien, Züge und Straßenbahnen in die Luft sprengen, so wie vor einem Jahr in Madrid. Dann wird der schon begonnene Krieg zwischen den Reichen und den Armen weiter eskalieren, bis er in ein universelles gegenseitiges Schlachten ausartet. Anders ausgedrückt: das Symbol für das “Entweder” ist Jerusalem: nicht die Hoffnung, die Jerusalem einmal war, sondern Jerusalem so, wie es jetzt ist; das Jerusalem, in dem weder palästinensische noch israelische Eltern wissen, ob die Kinder, die am Morgen zur Schule gehen, am Nachmittag wieder heimkommen werden.

Ich bin bis zu meinen Wurzeln davon überzeugt, daß es im Gegensatz zu diesem “Entweder” ein nicht nur erträgliches, sondern ein zum Feiern schönes “Oder” gibt. Ich bin weiter der Meinung, daß dieses “Oder” ohne Gewalt, ganz und gar ohne Revolution, im Gegenteil einfach und leicht zu erreichen ist. Aber ich werde mit Absicht diese andere mögliche Welt nicht gleich am Anfang zu beschreiben suchen. Nichts brauchen wir weniger als noch eine Aufzählung hochklingender Ziele, edler Absichten oder, noch schlimmer, nichtssagender bauschbogiger “Beschlüsse”. Man hat uns so oft versprochen, daß dies oder jenes halbiert oder bis zum Jahre 2007 oder 2015 um 30% reduziert werden wird, daß unsre Ohren regelrechte “Hörklappen” gegen derlei Gerede entwickelt haben. Im Gegensatz dazu werden wir die hausbacken klingende Frage nach den Mitteln, nach dem “Wie” ins Zentrum stellen. Um Ziele zu stecken, braucht man nur große Plakate. Aber bei der Frage nach dem “Wie” wird uns schwindlig, da wird es dunkel, und wir werden stumm. Deshalb die Frage: “Wie, mit welchen Mitteln, mit welchen Handgriffen, durch das Hinaufsteigen zu genau welchen Stufen könnte eine ‘Wende’ (die diesen Namen verdient) hin zu einer anderen Welt tatsächlich bewerkstelligt werden?

Wenn überhaupt, dann nur auf eine höchst unerwartete, Erstaunen verursachende Weise: nicht durch eine große Tat, nicht durch noch einen Großen Marsch quer durch halb China, sondern beinahe bescheiden: durch das sehr gezielte und mit aller Kraft verfolgte Weiterentwickeln von zwei Ansätzen, die bereits bekannt und verbreitet sind.

Die Wegautomatierung von Millionen von Arbeitsplätzen hat eine gewaltige Konsequenz mit sich geführt: die Verschiebung der Arbeit nach oben, von den Händen und dem Rücken in den Kopf. Das hatte zur weiteren Folge, daß Begabungen, Intelligenz und Talente immer wichtiger für die unterschiedlichsten wirtschaftlichen Erfolge wurden. Diese enorm breite Aufwärtsverschiebung ist der erste der zwei Ansätze, die ich meine.

Die Frage ist, wie man dieser Umplazierung der Arbeit hinauf zum Kopf, zur Intelligenz, einen anderen Inhalt als den bisherigen geben könnte. Wie könnte man diesem schon existierenden, riesigen Trend eine Richtung geben, die auf praktische, machbare Weise zu einer Umkehr unserer Kultur führen könnte?

Es gibt vielleicht viele Arten, aber ein Beispiel eines solchen Versuches begann mit einem Vorschlag, den das erste Zentrum für Neue Arbeit schon im Jahre 1982 vorlegte. Das war in der Automobilstadt Flint, dem Wolfsburg von Michigan, zu der Zeit, wo mit großer Plötzlichkeit Computer zu beiden Seiten der Fließbänder die Menschen, die dort gearbeitet hatten, zu ersetzen begannen. Der Kern des Vorschlags war, daß es eine Alternative zur Massenentlassung der Arbeiter geben sollte, die Möglichkeit nämlich, daß die Arbeiter wie bisher in den Fabriken arbeiten sollten aber in radikaler Teilzeit: nur noch sechs Monate im Jahr. In den übrigen sechs Monaten sollten sie nicht als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme den Rasen pflegen, sondern das Zentrum würde alle erdenklichen Anstrengungen unternehmen, um die Begabungen und Talente, aber auch die Werte und ganz besonders die unter Schutt vergrabenen Wünsche der Arbeiter zu Tage zu fördern. Das Resultat würde sein, daß die Arbeiter sechs Monate lang die “alte” Arbeit verrichteten, aber in den anderen sechs Monaten zur “neuen” Arbeit, Arbeit, die sie “wirklich, wirklich tun wollten” aufsteigen würden.

Viele schüttelten den Kopf. Unsere Antwort darauf war, daß sie das nur tun sollten, denn Kopfschütteln wäre gut für den Kreislauf. Andere entgegneten, daß Menschen, die zwanzig Jahre lang am Fließband gestanden hätten, längst nicht mehr wüßten, was sie denn wirklich, wirklich wollten. Unsere Antwort darauf war, daß zwanzig Jahre am Fließband gar nicht nötig wären, um das nicht zu wissen; die meisten Menschen wüßten auch ohne Fließband nicht von vornherein, was sie wirklich wollten; ja, daß dies nicht zu wissen, daß diese Ignoranz einen Teil der menschlichen Natur ausmache. Genau darin besteht deshalb eine der Hauptaufgaben der Neuen Arbeit: Sehr viele, sehr unterschiedliche Menschen bei dem Ausgraben ihrer verschütteten Wünsche mit Geduld und mit Kompetenz zu begleiten.

Das haben wir dann auch über zwanzig Jahre lang in einer ganz großen Bandbreite von unterschiedlichen Projekten getan. Mit Jugendlichen, die manche als “schwierig” bezeichnen, weil sie schon mehrmals im Gefängnis waren, zum Beispiel. Aber auch mit Senioren, die zu uns kamen, weil sie mit siebzig Jahren in ihrem ganzen Leben gar nichts von dem, was sie wirklich wollten, getan hatten. Sehr oft auch mit Managern, oft von außerordentlich renommierten Betrieben. Mehrere Male auch mit Indianerstämmen hoch im Norden von Kanada, und natürlich ganz besonders intensiv mit den Langzeitarbeitslosen und Armen erst in den sogenannten „inneren cities“ der USA, dann in den letzten zehn Jahren zunehmend in anderen Ländern: in Indien, in der Ukraine, in Deutschland und Österreich, in Japan, auf Haiti und seit 2000 in Afrika, erst in Ghana und Marokko und dann in den letzten drei Jahren am nachdruecklichsten in Südafrika.

Was haben wir in diesen Jahren über die wirklich gewollte Arbeit, die im Ernst selbstbestimmte Arbeit gelernt? Zum ersten, daß viele Menschen in der Tat Monate brauchen, um das, was sie wirklich wollen, zu erkennen. Diese Schwierigkeit ist so markant, daß wir für diese Schwäche einen Namen gebrauchen: wir sagen, daß viele stark an einer “Armut ihrer Begierde” leiden, daß sie das Flüstern ihrer tiefer liegenden Wünsche nicht mehr hören. Wenn man Menschen mit Ausdauer und Sorgfalt bei dem Aufspüren ihrer wirklichen Wünsche unterstützt, dann wird die allgemeine Struktur, die “Polarität der Arbeit” sichtbar. Unser gewohntes Bild siedelt den Großteil der Arbeit in einer Mitte an. Das stimmt aber nicht. Ein ganz unerhört großer Teil der Arbeit verkrüppelt Menschen genau so, wie früher die Füße von chinesischen Frauen vom Druck der nassen Binden zu kleinen, tot aussehenden Babyfäusten verunstaltet wurden. Eben dies tut eine Menge der Arbeit, die Menschen tun müssen. Im Gegensatz zu diesem Extrem gibt es ebenfalls viel Arbeit, die man “wirklich, wirklich will”. Sie ist nicht ermüdend. Es ist überraschend, aber diese Art von Arbeit stärkt, sie gibt uns Kräfte, von denen wir nichts ahnten, sie erfrischt uns, heilt uns und hilft uns tiefer in das Leben hinein.

So über die Arbeit zu denken mutet uns märchenhaft an. Und das ist es auch, und es ist deshalb passend, die Kraft dieser Art von Arbeit die “Münchhausen-Kraft” zu nennen. Dieser Vergleich trifft zu, einerseits wegen der Geschichte, in der der Herr Baron sich und sein Pferd am eigenen Zopf aus dem Sumpf zieht, aber noch mehr wegen der Geschichte, in der er mit zwei Magneten hinauf zum Mond klettert dadurch, daß er immer einen Magneten höher hinauf wirft, sodaß dieser ihn und den anderen Magneten mit sich aufwärts zieht.

Das sich auf diese Weise mit zwei Magneten Hochschaukeln ist der passendere dieser Vergleiche, denn die “gewollte Arbeit” ist auch etwas, was man über den eigenen Kopf hinaus hochwirft und was einen dann nach und nach, in vielen kleinen Stücken, wie auf Stufen, nach oben trägt. Das vielleicht wundersamste an dieser Kraft ist die Tatsache, daß sie bis ganz unten, bis hinunter zu denen, die dicht am Boden sind, wirksam ist.

Die Parade von Revolutionen, die bisher über die Bühne gegangen sind, war oberflächlich. Das Leben der großen Masse ist in vielem beim Alten geblieben. Die Uniformen der Elite änderten sich – vielleicht nur die Knöpfe. Die wirklich gewollte Arbeit kann im Unterschied dazu bis auf den Grund gehen. Auch Köche und Schlosser, auch Kinderbetreuer und Mechaniker können Arbeit tun, die sie im Ernst tun wollen, und dann ändern sich ihr Gang und die Haltung ihres Kopfes, das Ganze ihres Lebens.

Der Gedanke, daß sehr viele Menschen das Leben nicht wirklich leben, ist uralt. Im Neuen Testament heißt es: “Ich bin das Leben!” Dieser Satz hat nur Sinn und Bedeutung, weil die meisten von uns eben das Leben nur halblau leben. Sonst wäre dieser Satz überflüssig. Ähnliche Ideen spielen eine ähnlich wichtige Rolle in allen bedeutenden Religionen. Man kann die wirklich selbstbestimmte Arbeit auch mit diesem Kontext verbinden. Vielleicht hilft die Arbeit, die man wirklich tun will mehr, das Leben tatsächlich zu leben, als das Besuchen zahlreicher Seminare, das Ausprobieren unterschiedlichster Diäten, und sogar in allem Ernst mehr als vieles, was als Therapie oder auch im Namen der Religion oder der Moral marktschreierisch angeboten wird.

Arbeit, die wir wirklich tun wollen, gibt uns nur die erste Hälfte einer halbdunklen Ahnung von der Welt, zu der wir jetzt aufsteigen könnten. Die zweite, diese Ahnung sichtbarer machende Stufe ist einerseits so alt wie die Landwirtschaft und wartet andrerseits doch noch in der Zukunft auf uns.

Der Kern dieser anderen Möglichkeit ist leicht mißverstanden: man könnte sie verwechseln mit der nachhaltigen Anwendung von Technologien oder auch mit “sanften” oder “angepaßten” Technologien. In der Tat, Ähnlichkeiten bestehen, aber was wir meinen ist trotzdem grundanders. Am schnellsten kann ich den Unterschied durch eine Anekdote, die, mit Verlaub, aus meinem eigenen Leben stammt, definieren. Ich war noch sehr jung, als ich anfing an der Universität Princeton Philosophie zu unterrichten. Nach einem Jahr war ich mir gar nicht sicher, ob ich dieses Unterrichten wirklich, wirklich wollte. Ich gab meine Stelle auf und zog nach dem Beispiel von Henry David Thoreau in die Wälder von New Hampshire, um dort nur von dem zu leben, was ich auch selber angebaut hatte. Ganz mit Absicht hatte ich keine Motor- oder Kettensäge, sondern nur eine kleine einhändige Bogensäge mitgenommen. Diese wurde entscheidend für den Rest meines Lebens, denn die Winter in New Hampshire sind grausig kalt. Ich mußte lange Stöße von Holz mit der Hand kleinsägen, um mich und meine Krautköpfe vor dem Erfrieren zu bewahren. Daraus ergab sich eine Lektion: am Ende des zweiten langen Winters, im Mai, erkannte ich, daß dieses Leben nicht die von Thoreau versprochene Freiheit, sondern ganz im Gegenteil eine mir selbst auferlegte Sklaverei war. Der nächste Schritt war, daß sich mir eine Aufgabe stellte, an der ich seitdem, zusammen mit sehr vielen Anderen, gearbeitet habe.

Es geht um eine andere Anwendung von Technologien, oder besser, um das Entwickeln von Werkzeugen, Materialien, Maschinen und Technologien, die die Sklaverei der Bogensäge endgültig abschaffen sollen. Wodurch oder wie? Dadurch, daß man ein Mosaik von vielen Erfindungen zusammenfügt, damit eine Nachbarschaft oder auch ein Dorf sich nicht nur, wie die Bauern, das eigene Kraut und die eigene Butter herstellen können, sondern sehr viel mehr darüber hinaus. Die entscheidende Lehre der ursprünglichen Bogensäge dabei war, daß diese neue, von Erfindungen immer höher getriebene “Selbstversorgung” ganz ausdrücklich NICHT mit kleinen Bächen biblischen Schweißes und jeder Menge menschenverkrüppelnder Arbeit, sondern eben mit Leichtigkeit und fröhlicher Eleganz, nicht nur mit der linken Hand, sondern auch dem linken Fuß, zu erreichen sein soll. Bei dem jetzt herrschenden Stand dieses Unternehmens sind wir nicht mehr weit davon entfernt, das eigene Haus, natürlich auch die eigene Elektrizität und den mit dieser Elektrizität betriebenen selbergemachten Herd, aber eben auch die in einer kleinen mobilen Fabrik hergestellten Möbel und die ebenfalls selbergemachten Stoffe und Kleider und sogar italienisch aussehende Schuhe, aber eben noch weiter hinauf die selbergemachten Kontaktlinsen und Brillen, Küchengeräte und Teller, und weiter den in einem mobilen Internet-Herstellungs-Café selbergemachten Kühlschrank und die selbergemachten Kosmetika und technische Schnickschnacks bis zum Walkman, zum Radio und TV, ja sogar hinauf bis zum selbergemachten, allerdings viel einfacheren Handy möglich zu machen.

Daß Kopfschütteln gut für den Kreislauf ist, wurde mit Absicht schon früher erwähnt. Jetzt wäre zu empfehlen, daß Sie in der nächsten Viertelstunde auf diese Art etwas für ihren Kreislauf tun. Sie müssen mir aber gestatten, daß ich Ihnen gleichzeitig Schritt für Schritt Beispiele nenne in der Hoffnung, daß diese Beispiele nach und nach ihr Kopfschütteln verlangsamen werden.


Zunächst die sogenannte “vertikale Agrikultur”. Der prinzipielle Grundgedanke davon ist dem gesunden Menschenverstand so nah, daß viele zwölfjährige Kinder ihn selbständig hätten entdecken können. Man muß Kraut und andere Arten von Gemüse nicht wie bisher nur horizontal, auf ebener Erde anbauen. Wenn Land sehr teuer ist, wie in allen Städten und paradoxerweise auch in sehr vielen Slums, und außerdem das Wasser kostbar, kann man mit Kompost gefüllte Behälter aufeinanderstapeln und die jungen Pflanzen in die vielen kleinen Löcher einsetzen, die sich an den Seiten dieser Saeulen befinden. Man kann auf diese Weise eindrucksvolle Ernten auf Dächern und Balkonen erzielen. Man darf sich dies aber nicht als eine einsam dastehende Erfindung vorstellen. Im Gegenteil, es ist eine weitverzweigte, sich entwickelnde Wissenschaft. In unserer Sicht ist neben den vielen anderen Vorteilen dieser Anbauart einer ganz entscheidend: nämlich, daß man die Erde nicht pflügen, kein Unkraut jäten, überhaupt nur ganz wenig arbeiten muß. Nur dadurch wird sie zu einem Stein in unserem Mosaik, das eine Selbstversorgung auf hohem Niveau – ohne den Schweiß der Bogensäge – darstellen will.


Zum zweiten die “monolithischen Kuppelbauten“. In den allerunterschiedlichsten Situationen, unter dem düsteren Himmel von Detroit genauso wie auf Haiti oder in Südafrika, ist eine Antwort auf die Frage, was es denn sei, was die in tiefer Armut Lebenden wirklich wollen, immer wieder: “einen Raum”, “eine große, weit ausladende Halle, in der man gemeinsam essen, singen, tanzen und auch gemeinsam beten kann”, also eigentlich ein schützendes Dach, unter dem man die zerstörte Gemeinschaft vielleicht wieder finden kann.

Es ist überraschend und besonders schön: eine solche Halle ist zu haben; man kann sie zum Großteil sogar selber, gemeinschaftlich bauen. Es gibt sie in vielen Variationen, und manche davon sehen wirklich fabelhaft aus. Noch dazu ist die Technologie, mit der man sie bauen kann, sparsam, intelligent und regelrecht spitzbübig oder auch frech. Sie entspricht also völlig dem Ethos und dem Humor, die der Neuen Arbeit zu Grunde liegen.

Zum Bauen solch einer Halle benutzt man eine flexible, belastbare, halbkugelförmige “Haut”. Diese “Haut” bläst man auf wie einen Ballon und spritzt dann, ganz als wäre man die Feuerwehr, eine Mischung aus Lehm, Hanf und Zement von außen auf diese Haut. Danach macht man eine drei Tage lange Pause und wartet, bis diese Schale hart geworden ist. Gut ausgeruht erscheint man dann wieder und zieht den Stöpsel aus dem Ballon heraus. Die Luft bläst aus der Schale und die Haut fällt in sich zusammen. Als letztes zieht man die leere Haut vorne zur Tür heraus, damit sie abtransportiert und zum Bauen der nächsten Halle im Nachbardorf benutzt werden kann.

Die in Texas angesiedelte Firma, die sich “Monolithic Domes” nennt, hat schon Tausende von solchen Domen gebaut. In diesem Fall paßt sogar die Firma selbst in den Rahmen der Neuen Arbeit, denn es ist ein Teil ihres festen Angebots, die Kuppel nicht einfach hinzustellen, sondern ein Unterrichts-Team zu entsenden, das einem beim Selberbauen so einer Kuppel auf alle nötige Art anweist und unterstützt.

So wie bei der vertikalen Agrikultur besteht auch hier beim Kuppelbauen eine deutlich sichtbare Verbindung zu dem Gegensatz der Neuen Arbeit, nämlich zur alten menschenverkrüppelnden Schinderei: Die lange Pause, die eingelegt werden muß, damit die Schale durchtrocknen kann, ist ein ganz entscheidendes Hauptelement. Das ist der eigentliche Sinn von vielen Erfindungen, der wahre Zweck der Technologie: die Menschheit von der uns betäubenden und verhunzenden Arbeit zu befreien.

Die monolithischen Kuppeln sind natürlich nur eine von einer Vielfalt sich schnell entwickelnder Weisen, intelligenter und billiger und vor allem selbständiger zu bauen. Auch hier entsteht, wie bei der vertikalen Agrikultur eine ganze neue Wissenschaft und nicht nur eine alleinstehende witzige Idee.

Das Bauen mit Lehm ist ein besonders einleuchtendes Beispiel dafür. Das Sammelsurium der unterschiedlichen Vorteile des Bauens mit Lehm hier aufzuzählen, ist nicht nötig. Bedeutender ist die Ähnlichkeit im Großen. Auch auf diesem Gebiet wird andauernd verbessert und entwickelt (z.B. in dem Zentrum für Neue Arbeit in Gotha). Neue kleine Maschinen, mit denen man leichter und schneller und mit weniger Arbeit Lehmbauteile herstellen kann, erscheinen am laufenden Band. Im selben Tempo experimentiert man an vielen Orten mit neuen Mischungen von Lehm mit anderem Material. Es dahin zu bringen, daß man auch Dächer, die tropische Regen aushalten, aus Lehm selber herstellen könnte, wäre ein wichtiger weiterer Schritt, besonders in Afrika.

Genug zum Essen zu haben, und selbstverständlich nicht nur Gemüse, sondern auch Fische, Truthähne, Vogelstrauße, Pilze, Honig und mehr, und nicht nur ein Dach über dem Kopf, sondern vielleicht sogar zwei zu haben – nämlich ein kleines Privathaus und eine große Gemeinschaftskuppel – das könnte man sich als eine erste Phase, eine Basis vorstellen. Die zweite, höhere Ebene beruht auf einem größeren, aber bereits weitgehend etablierten technischen Fortschritt, der jetzt erklärt werden muß.


Eine große Fabrikhalle, in der einhundert Roboter zu beiden Seiten eines Fließbandes stehen, ist verschwenderisch, altmodisch und dumm. Bei einer Besichtigung könnte es jedem Kind einfallen, daß es viel billiger und besser wäre, ein oder zwei Roboter zu haben, von denen jeder fünfzig oder auch hundert Handgriffe tun kann anstatt monoton immer nur einen. An solchen Robotern, die kleinere Fabriken möglich machen, wird schon seit Jahren gearbeitet. Dasselbe gilt längst als Binsenwahrheit für Betriebe: kleine Betriebe sind “agiler”, flexibler und innovativer als ihre elefantösen Großeltern. Am alltäglichsten macht man diese Erfahrung bei den Handys: je kleiner das Handy, um so teurer ist es oft, und der Mann, der zu Beginn eines Gesprächs das kleinste Handy neben sich auf den Tisch legt, ist ganz offensichtlich der Alpha-Mann.

Man könnte sagen, daß das Kleinermachen eine große Stärke unseres Zeitalters ist, denn auf keinem Gebiet hat die Fähigkeit zu Miniaturisieren größere Erfolge gefeiert als in dem beispiellosen Entwicklungswettrennen der Computer.

Ein Resultat dieser hervorragenden Fähigkeit ist die kleine, mobile Fabrik, an der man auch in Deutschland, und da besonders an der TU in Chemnitz, arbeitet. Dieser Fortschritt kann die Neue Selbstversorgung mit einem gewaltigen Ruck auf ein höheres und eleganteres Niveau hinaufheben. Es ist nicht schwer, sich ein Dorf vorzustellen, in dem man drei Wochen lang Altglas oder Altplastik sammelt. Wenn die Behälter voll sind, kommt eine kleine, mobile Fabrik in dieses Dorf, die aus dem alten Glas und alten Plastik eine Vielfalt von neuen Produkten herstellt. Drei Tage lang arbeitet man wie wild, so wie man vor fünfzig Jahren noch auf dem Hof beim Dreschen gearbeitet hat, und dann ziehen die Lastautos die Fabrik hinüber zum Nachbardorf.


Glas und Plastik sind in diesem Falle aber nur der Einstieg, die Vorübungen, bei denen man das Elementare lernt. Unter den großen Erfindungen bedeutet vielleicht die Elektrizität den größten Unterschied für das alltägliche Leben. Und bewundernswert wie die Photovoltaischen Zellen sind, in das Konzept des Selberherstellens passen sie bislang nicht. Sie können bisher nur mit sehr großen und teuren Anlagen hergestellt werden und sind außerdem recht zerbrechlich, wobei diese Zerbrechlichkeit in all den vielen Situationen, in denen man heutzutage mit faustgroßen Steinen wirft, zu einem fürchterlichen Nachteil wird.

Aber auf dem Gebiet der Erzeugung von Elektrizität wird mit derselben erstaunlichen Energie (wie beim Bauen und bei der Permakultur) weiter erfunden und neu gedacht. Daß in der Zukunft Elektrizität auf jeden Fall dezentral und nicht mehr durch den Bau von gigantischen Dämmen hergestellt werden wird, das ist jetzt schon durch die Brennstoffzelle so gut wie sichergestellt. Aber die Brennstoffzelle ist auch noch zu teuer, und deshalb wird es wahrscheinlicher eine kleine, mobile Fabrik geben, die das gemeinschaftliche Selberbauen von “Stirling Motoren” möglich macht. (Sehr abgekürzt erklärt: der Stirling Motor hat den unerhörten Vorteil, daß er keinen Brennstoff, sondern nur Hitze oder Wärme braucht. Er kann also mit allem und jedem, das Hitze erzeugt: Holz, Torf, Öl, Gas, trockene Blätter, Kuhmist – aber am besten einfach mit gebündelten Sonnenstrahlen – betrieben werden.)

Es gibt derzeit buchstäblich Hunderte von verschiedenen Stirling Motormodellen, und ein Ziel, das anzustreben großen Sinn hat, ist die Entwicklung eines Stirling Motors, der in das Konzept der gemeinschaftlichen Herstellung hineinpassen würde. Wenn der Motor einfach genug wäre, und das ist denkbar, dann könnte eine entsprechend ausgerüstete kleine, mobile Fabrik, ähnlich wie die glasrecycelnde Werkstatt, von Dorf zu Dorf fahren.


Das Konzept der kleinen, mobilen Fabrik, die natürlich mit sehr raffinierten Maschinen und möglicherweise auch einem begabten Mentor von Slum zu Slum fahren würde, kann beinahe beliebig vervielfältigt werden. Auf dieselbe Weise könnte man Möbel, wenn nötig auch aus recyceltem Holz, oder Stoffe z.B. aus selbstangebautem Hanf, und wenn Stoffe, dann auch Kleider und Schuhe, und wie schon gesagt willkürlich mehr an Ort und Stelle von den Benutzern selbst herstellen lassen.


Damit wäre schon eine ganze Menge von dem, was man zum Leben braucht, abgedeckt. Was in diesem Bilde noch merkwürdig fehlt, ist das Selbstverständliche, das oft schon Vorhandene, das nicht vom Grund und Boden, sondern im Gegenteil aus dem Cyberspace kommt. In indischen Dörfern habe ich mit Dorfschulen gearbeitet, die über Internetanschluß verfügten. Der Unterschied zwischen einer Schule, in der die Kinder für einen Lehrer einen auswendig gelernten Text heruntersagen, und einer Schule, in der jedwede Musik, die je komponiert wurde, gespielt werden kann, und jeder Film, der überhaupt je gedreht wurde, und jedes Buch, jede Zeitung oder Zeitschrift gezeigt werden kann, ist nicht in einem Satz zusammenfaßbar. Wenn man in den entlegensten Dörfern fragt, was besonders die jungen Menschen wirklich wollen, dann ist die Antwort voraussagbar: Computer. Der Wunsch verknüpft sich auf die natürlichste Weise mit den monolithischen Kuppeln: denn in denen kann man nicht nur gemeinsam singen und essen und möglicherweise auch Wäsche waschen und baden, sondern diese Kuppeln sind auch der geeignete Raum für das Internet-Café.


Beide der genannten Stufen sind auf diesen wenigen Seiten selbstverständlich nur angedeutet. Sehr viele Fragen zu dem „wirklich, wirklich wollen“, z.B. in genau welcher Weise wir Menschen helfen, die Antwort auf diese Frage eben doch zu entdecken, sind nicht einmal gestellt worden. Ebenso mit der neuen Selbstversorgung. Die Anzahl von Erfindungen und Technologien, mit denen dieser Ansatz weiter konkretisiert werden könnte, kann mit Zugvögeln verglichen werden.

Innerhalb des engeren Kreises der Gruppen der Neuen Arbeit arbeiten wir z.B. an einem im Prinzip viel einfacheren Kühlschrank. Der eigentliche Schrank kann vielleicht aus recyceltem Plastik direkt in den Dörfern hergestellt werden, nur der kleine Hightech-Apparat, der die Kühle erzeugt, muß angeschafft werden. Wir arbeiten auch an der Entwicklung eines viel einfacheren Handys, eines “gebührenfreien Handys”, weil in den armen Vierteln viele Menschen mit abgeschalteten, toten Handys in ihren Taschen am Straßenrand stehen.

Damit bleiben noch immer zwei große Gebiete unerwähnt:

eines davon ist ein Automobil, das nicht nur elektrisch angetrieben wird, sondern das nicht mehr in großen Fabriken, sondern in kleinen Shops hergestellt wird. Ein Auto, das man selber zusammensetzen, das man aber auch selber verändern und umbauen kann, sodaß es an einem Samstagabend wie ein roter Ferrari, aber zwei Wochen später wie ein Kleinlaster aussieht.

Das andere ist eine grundsätzlich neue Technologie. Nicht nur die nächste “Generation”, sondern die nächste Spezies von Computern, Computer, die den Riesenschritt von der Information zur Materie machen; nicht mehr Computer, sondern Fabrikatoren, die nicht mehr lediglich Papier bedrucken, sondern selbständig dreidimensionale Produkte herstellen.

Bei den zuletzt erwähnten Entwicklungen können Sie ihren Kopf ruhig wieder auf eine ihrem Kreislauf wohltuende Art hin und her bewegen. Auch ohne diese nur noch beim Abschiednehmen erwähnten, erstaunlichen Möglichkeiten, sollten die Richtung eines anderen Weges sichtbar geworden sein.

Modellhaft, zusammenfassend gesprochen: wir versuchen im Namen der Neuen Arbeit in vielen sehr unterschiedlichen Situationen (auch in Detroit) Nachbarschaften, Doerfer und Gemeinschaften aufzubauen.

In der ersten Phase wird sehr viel oekologisches getan: bessere Waermedichtungen, bessere Daecher, Wasserfilter, Kompost-toiletten, etc.

In der zweiten Phase wird die technologisch unterstuetze Selbstversorgung, angefangen von der „vertikalen Agrikultur“ bis hinauf zu dem in dieser Situation hoechstmoeglichen Niveau erarbeitet.

Der dritte Schritt ist die Ansiedlung eines mittelstaendischen, profitmachenden Unternehmens, Die naheliegendsten Produkte die die Basis dieser Unternehmen darstellen, sind natuerlich die Beispiele die schon erwaehnt worden sind: also: bessere kleine Maschienen zum Bauen mit Lehm, die Ausruestungen fuer die unterschieldichen kleinen mobilen Fabriken, ein robuster, einfach zu bauender Stirling Motor, das gebuehrenfreie Handy, etc.


Der archimedische Punkt: vom ersten Tage an wird nichts getan das die Bewohner nicht „wirklich, wirklich wollen.“ Dabei schaffen die drei eben aufgezaehlten Phasen nur die materielle Basis fuer diese Art zu leben. Das was man jetzt mit dem linken Fuss allein machen kann. All das Erstaunliche und Grosse am Menschen das zur Schaffung dieses Bodens nicht noetig ist, kann durch weitere, hoehere Aufgaben die dieser oder jener wirklich unternehmen will hinauf in die Freiheit entwickelt werden.

Ausblick:

Die südafrikanische Regierung hat angefangen, den Wiederaufbau von Dörfern und Slumgebieten zu unterstützen, der auf diesen Gedanken basiert. Sie tut das, weil die bisherigen Weltbank-Rezepte die Armut und Arbeitslosigkeit drastisch verschlimmert haben. In vielen anderen Ländern ist derselbe Absturz passiert. Es ist deshalb wahrscheinlich, daß die Regierungen einiger dieser anderen Länder (z.B. die von Brasilien und Argentinien, aber auch die von Indien, dem Irak und Afghanistan) in absehbarer Zeit eine ähnlich andere Wirtschaftsentwicklung unterstützen werden.

Wenn sich die “konzentrische Wirtschaft” und die durch sie ermöglichte “menschenentwickelnde Kultur” in der Tat weiter verbreiten, dann wird diese Wende eine lange Reihe von Konsequenzen haben. Drei von diesen könnten – wenn wir Geschick und Glück haben – die folgenden sein.

  1. . Die Armut könnte schrittweise “ausgerottet” werden. (Das Programm, an dem ich in Südafrika arbeite, benützt diese Worte. Es heißt “Advanced Technology for the Eradication of Poverty”.
  2. . Wir könnten mehr Frieden und weniger Terrorismus erleben.
  3. . Die Monomanie des Wirtschaftswachstums könnte geheilt werden. Wenn wir andere, neue Arten der Arbeit entwickeln, dann wird die überhitzte Beschaffung von Arbeitsplätzen der alten Arbeit unnötig werden. Die Art des Wachstums könnte sich dann ändern. Das bisherige Wachstum der Aufblähung könnte sich dann hin zu einem Wachstum der Menschwerdung entwickeln.
Frithjof Bergmann am 2. Juni 2005 ZweiStufenHinaufZuEinerAnderenWelt/Diskussion